«Wir setzen Tugenden in die Tat um»

    Der Erfolgsdruck in unserer Arbeitswelt und Gesellschaft sowie die Erwartungshaltung im Privaten drohen dem Menschen, sich selbst und die Nähe zu den Mitmenschen zu verlieren. Wichtige Bedürfnisse, ethische und humanitäre Werte im Alltag kommen zu kurz. Dies müsste nicht sein – die Bruderschaft Odd Fellows macht es vor und lebt Offenheit und Toleranz im Alltag. Die drei Kettenglieder ihres Logos versinnbildlichen Freundschaft, Liebe und Wahrheit. Die Schenkenberger-Loge Nr. 15 in Aarau möchte vermehrt auch junge Menschen für diese altruistische Werte begeistern.

    (Bild: zVg) Schenkenberger-Loge Nr. 15 der Odd Fellows in Aarau existiert seit 1925: Obermeister Jürg Oberle und Altmeister Frank Stoop vor dem englischen Gründungsvater Thomas Wildey.

    Achtvolles Miteinander und gegenseitige Wertschätzung – Werte, die es in der heutigen Gesellschaft mehr denn je braucht. Dieses Zeichen der Zeit haben die Mitglieder des Ordens der Odd Fellows schon lange erkannt. Die unabhängige Bruderschaft zeichnet sich durch dieses Gedankengut aus und praktizieren es im Alltag. «Wir begegnen uns auf Augenhöhe und helfen einander, wann immer es nötig ist. Diese Haltung der Hilfsbereitschaft kommt auch in unseren karitativen Engagements zum Ausdruck», erklärt Jürg Oberle, der Obermeister der Schenkenberger-Loge Nr. 15 der Odd Fellows in Aarau. Und der amtierende Altmeister Frank Stoop ergänzt: «Wir diskutieren an  unseren Treffen nicht nur über Grundwerte wie Freundschaft und Vertrauen, wir versuchen diese auch zu leben: Wir möchten Tugenden in die Tat um-setzen, statt lediglich theoretisch darüber zu philosophieren.» Beide sind im Orden mit grossem Engagement dabei und ihre Begeisterung für die Gemeinschaft steht ihnen ins Gesicht geschrieben, wenn sie über die Zielsetzungen, die gelebten Stunden der Besinnung, vom Abstand zum Alltag, den Begegnungen und Diskussionen im Kreise der gleichgesinnten Freunde erzählen. Die Werte der Odd Fellows basiert auf den drei Pfeilern Persönlichkeitsförderung, ethisches und humanistisches Denken und Handeln sowie Pflege der Freundschaft. Nur wer an sich arbeitet, kann auch etwas Positives auf die Gesellschaft und Mitmenschen reflektieren – so das Credo der Bruderschaft. «Jeder findet in unserem Orden Raum, um sich weiterzuentwickeln. Diese Arbeit mit dem eigenen Ich messen wir einen hohen Stellenwert bei. Gemeinsam fällt dies leichter, als wenn man auf sich allein gestellt ist», so Oberle. Er ist schon seit 20 Jahren Mitglied. Dabei appelliert er auch an die Verantwortung des einzelnen Mitglieds. Dazu Stoop: «Mit unserem eigenen Verhalten tragen wir Wesentliches zu dem bei, was wir anstreben: Eine Welt, in der Toleranz und Respekt regiert, in welcher der Mensch vorurteillos zählt – unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Glaube oder politischer Couleur. Denn Veränderungen beginnen beim Einzelnen.»

    Achtsamer Umgang miteinander
    Die Odd Fellows-Mitglieder pflegen bei ihren Treffen einen verantwortungsvollen und bewusste Umgang mit dem Gegenüber. «Wir tauschen uns gegenseitig über Fragen nach dem richtigen Handeln, Humanität und Respekt in der Gesellschaft aus, ohne Ideologien zu unterliegen», erklärt der Obermeister, der für zwei Jahre im Amt ist. Im Fokus der regelmässigen Sitzungen stehen das kritische Hinterfragen der gegenseitigen Sichtweisen, die bereichernden gegenseitigen Anregungen und nicht zu letzt die neuen Perspektiven, die sich durch die bewusste Distanz zum Alltag ergeben. Die Odd Fellows möchten mit der Pflege der Freundschaft gerade in unserer schnelllebigen Zeit ein wertvolles Zeichen setzen, indem sie wertvolle Beziehungen pflegen und hochhalten.

    Das diesjährige Jahresthema der Odd Fellows heisst «Zuversicht». Dazu stehen in den rituellen Sitzungen – jeden zweiten Freitag in der Aarauer Loge – Vorträge von eigenen Mitgliedern, externen Referenten oder Mitglieder von anderen Logen auf dem Programm. Dazu Oberle: «Bei uns stehen Vor-träge, Workshops und Diskussionen von Persönlichkeiten auf Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zu allen Lebensbereichen im Mittelpunkt. Wir führen regelmässig öffentliche Vorträge durch wie beispielsweise im letzten November die Gästeloge mit dem Referat von Bundesrichter Rudolf Ursprung.» Die Anlässe erhalten einen würdigen Rahmen durch Symbole, rituelle Abläufe und Musik. Oft werden die Zusammenkünfte der Bruderschaft mit einem Essen und geselligem Beisammensein abgerundet.

    Neue junge Gesichter
    Die Schenkenberge-Loge Nr. 15 in Aarau wurde 1925 gegründet. Heute zählt sie 50 Mitglieder, wobei das Durchschnittsalter bei 75 Jahren liegt. «Wir sind überalter und möchten frischen Wind in unsere Loge bringen. Deshalb optimieren wir zurzeit unsere Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation», weiss Stoop. Er und seine Kamera-den wünschen sich «jungen Zuwachs» ab 40 plus. «Es ist uns ein Anliegen, unsere Loge für die Öffentlichkeit zu öffnen. Oft herrscht in den Köpfen ein falsches Bild von uns, von dunklen, mystischen Ritualen und gefährlichen Geheimbünden etc. Dem möchten wir mit Zeitungsartikel oder eben mit öffentlichen Veranstaltungen entgegentreten und so Einblick geben in unsere Tätigkeiten und Philosophien», erklärt Stoop. Das Gedankengut der Bruderschaft ist zeitlos und scheint auch die heutige Jugend zu faszinieren, wie das Interesse eines 22-jährigen Anwärters zeigt.

    Doch wie wird man Mitglied der Odd Fellows? Ein persönliches Gespräch, der Besuch einer Gästeloge und eine kurze Vorstellung der eigenen Person inklusive schriftlichem Lebenslauf sind die einzelnen Schritte, die zu einer Mitgliedschaft führen können. «Wir stimmen intern über den Beitritt des neuen Mitgliedes ab», so Oberle. «Wichtig ist für uns auch, dass die Partnerin des neuen Mitgliedes mit dem Beitritt einverstanden ist.»

    Wer neugierig geworden ist und gerne mal die faszinierende Welt und das Gedankengut der Odd Fellows näher kennenlernen möchte, kann am Donnerstag, 12. März, um 19.30 Uhr im Odd-Fellwo-Haus, Apfelhausenweg 10 in Aarau eine Gästeloge mit einem Referat von Douglas Bostock, dem ehemaligen Dirigenten des Argovia Philharmonic, besuchen.

    Corinne Remund

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